Neue Wiener Concert Schrammeln
Kronjuwelen

Nach dem unbändigen Feuerschwall und der Dramatik der letzten Jahre, den Sturm und Drangzeiten, ist nun eine Phase klassischer Empfindsamkeit gepaart mit hoher Traditions- und Menschenverbundenheit angebrochen.

Zumindest schwant mir dies beim Hören der „Kronjuwelen“, der jüngsten CD der Neuen Wiener Concert Schrammeln. Es handelt sich hier um eine Sammlung besonders wertvoller Musikstücke - also um Kronjuwelen im besten Sinne des Wortes -, die aus dem kulturellen Geist und in Bezug auf konkrete Landschaften in den ehemaligen Kronländer entstanden sind. Diese Kompositionen prägen nicht zuletzt bis heute das musikalische Schaffen und Wirken in Wien und werden durch die Neuen Wiener Concert Schrammeln mit einem bewundernswerten Selbstverständnis als kultureller Bestandteil im Heute und Jetzt integriert.

Eine CD-Zusammenstellung wie die vorliegende bringt es zustande, kulturelles Erbe in ihrer Grenzüberschreitung verstärkt in unsere Wahrnehmung zu bringen und gleichzeitig zeitgenössisch einzufärben. So wie sich auch staatliche Landesgrenzen im Laufe der Geschichte verschieben können, so hat sich auch die Besetzung in diesem an sich stabilen Schrammelquartett in letzter Zeit geändert und erweitert. Anstatt Günter Haumer drücken nun Walther Soyka und Helmut Stippich abwechselnd und schöpferisch die chromatischen Harmonikaknöpfe, dem impulsiv temperamentvollen Valmir Ziu sind behutsam Johannes Dickbauer und Nikolai Tunkowitsch gefolgt, die sich ebenfalls abwechseln und ihre Violinen in feiner Abstimmung mit Peter Uhler zusammenstimmen. Unverändert verankert Peter Havlicek mit seiner Kontragitarre die Formation.

Der musikalische Gehalt hat sich ob der Besetzungsänderungen nicht gewandelt, der Klang freilich schon. Man hat jetzt den Eindruck, die Essenz der Interpretationen habe sich verdichtet und sei hintergründiger geworden, der Klang hat sich elegant verschlankt. Über leichte, punktuelle spielerische Unsicherheiten kann unbedacht hinweggesehen werden. Der Motor, auch wenn dies der um Ausgleich und Gleichstellung bedachte Kontragitarrist nicht hören will, ist Peter Havlicek, der es immer wieder schafft, neue Schrammelwelten zu fassonieren, nachdem er unermüdlich in Archiven recherchiert hat. Die auf den „Kronjuwelen“ gebotene Repertoireauswahl ist das Ergebnis eines wirklich fundierten Nachdenkens und Nachschauens, das die geografischen Reichweiten der Donaumonarchie vor Augen führt.

So finden sich auf diesem Tonträger Kronjuwelen, die etwa Meran (dem Tor zum Süden), die Karpaten (quasi die Fortsetzung der Alpen, die nach Wien beginnt und sich über einen großen Teil der ehemaligen Kronländer bis nach Rumänien zieht), die Bukowina, Venetien oder Linz im Titel führen. Der Slawische Tanz Nr.2 von Antonin Dvoak schlüpft so selbstverständlich ins Ohr, gerade so als wäre er ohnedies original für Schrammelbesetzung komponiert worden. Und mit dem Präludium aus La Traviata kommen die NWCS nicht vom Wege ab, sondern ebnen damit den Weg für La Paloma, einem der weltweit meist verbreiteten Lieder, dessen Platzierung auf dieser CD im Konnex mit der österreichischen Geschichte durchaus Sinn ergibt. Erlauben Sie folgende erhellende Anmerkung: Dieser bereits aus dem 19. Jahrhundert stammende Welthit dürfe niemals mehr auf einem österreichischen (Kriegs)Schiff gespielt werden, so die sagenumwobene Grundhaltung. Von österreichischen Seglern wird das auch angeblich bis heute als Tradition hochgehalten.

Je näher die jeweiligen Stücke geografisch am Wirkungskreis Wien liegen, umso gelassener, aber nicht melancholiefrei mutet die musikalische Grundstimmung an, so scheint es jedenfalls. Der „Schäfer Tanz“ und die „Linzer Tänze“ von Rudolf Staller bzw. Josef Winharts „Schau ma eini“ wurden über die Publikation „Weana Tanz“ ans Tageslicht und auf diesen Tonträger geholt, bislang brach liegende Schätze, die nun wieder greif- und hörbar sind. Und freilich sind auch drei Stücke von Johann Schrammel vertreten. Zwei zeitgenössische Kompositionen betten sich zudem in die Traditionen der ehemaligen Kronländer ein: Die schon schwer erwarteten „Bukowina Tänze“ Alexander Kukelkas und der chromatisch berührende „Abschiedswalzer“ des gebürtigen Ungars Akos Banlaky. Beide Werke mehr denn eine Schrammel- und Kronländer-Referenz.

Die „Kronjuwelen“ sind die wahrscheinlich bislang berührendste und reifste CD der Neuen Wiener Concert Schrammeln, die von einer eigenartigen Innigkeit getragen ist. Dem Glanz der Kronjuwelen zu verfallen ist eine Sache, eine andere, nach dieser Art von Schrammelklang süchtig zu werden. Den wunderschönen, poetischen Worten Karl Ferdinand Kratzls im Inneren der CD ist nichts hinzuzufügen, außer dass sie sich bewusst auch ins Englische übersetzt finden und des Pudels Kern treffen: „Melodien reifen. Dort unten irgendwo. Am Meeresgrund oder war es auf dem Boden der blauen Donau? Schatzsuche nach versunkenen Klängen. Ich sage ihnen ja nichts Neues. Trotzdem sage ich es: Wir haben den Anschluss an das Meer verloren. Wir sind Binnenländler. Unterirdisch ist das aber nicht der Fall. Unsere tiefe Verbundenheit mit unseren Nachbarländern ist da. Kunst und Mensch von rundherum sind in uns eingewandert. Sie leben hörbar in uns. Wer sich nicht die Ohren zuhält kann sie reinlassen, diese Melodien. Sie bringen Sauerstoff und nicht operettigen Süßstoff. Die Neuen Wiener Concert Schrammeln erahnen unsere verletzlichen Schätze.“ .[IM]

1. Jovano Jovanke - trad. Mazedonien
2. Meran Marsch/Meraner Jodler - J. Schrammel
3. Slawischer Tanz Nr. 2 - Antonin Dvorak
4. Schäfer Tanz - Rudolf Staller
5. Ein Abend in den Karpaten - trad. nach J. Bernstein
6. Schau ma eini - Josef Winhart
7. - 11. Bukowiner Tänze - Alexander Kukelka
12. Depeschen an den Teufel - Johann Schrammel
13. Venetianer Galopp - Johann Strauß Vater
14. Präludium aus La Traviata/La Paloma - G. Verdi/S. Yradier
15. Abschiedswalzer - Akos Banlaki
16. Eljen à Stephanie - Johann Schrammel
17. Linzer Tänze - Rudolf Staller

18.00 €




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